Das war für Künstler niederschmetternd
■ Wie geht es Ihnen, nachdem die Landesregierung Ihnen quasi ein Berufsverbot verordnet hat, Herr Dittrich?
Carsten Dittrich: Die ersten beiden Tage waren besonders schrecklich, wenn man so gar nicht weiß, was auf einen zukommt und was einem verloren geht mit Blick auf den Terminkalender. Danach kümmerte ich mich im Büro in erster Linie darum, mein Auto stillzulegen, Versicherungen aufzukündigen und mit der Bank zu reden, um die Kosten ein bisschen zu senken.
■ Wie schwer trifft Künstler wie Sie das Coronavirus?
Es ist definitiv existenziell. Noch habe ich den Vorteil – mit der Betonung auf noch – dass ich neben meiner Selbständigkeit freiberuflich fürs „marotte Figurentheater“ im Theaterhaus Karlsruhe arbeite. Dort bekomme ich im Moment 50 Prozent Ausfallgage für alle Stücke, die weggefallen sind. Das hat meine Situation etwas entspannt. Aber der März gehört für mich definitiv noch zur Hauptsaison. Jetzt konnte ich mit den Einnahmen gerade noch die laufenden Ausgaben decken, ehe ich anfange, mir ein Brot zu kaufen. Im April, als ich weniger für „Marotte“ und mehr fürs „Theater Fiesemadände“ machen wollte, wird es noch schlechter aussehen, weil alle absagen und nicht jeder eine Ausfallgage zahlt. Manche versuchen zwar dankenswerterweise Ersatztermine zu finden, aber die sind dann im Herbst oder im kommenden Frühjahr. Aber ich brauche halt jetzt Kohle und ich kann nicht alle Stücke im Oktober spielen, zumal der schon jetzt voll ist.
■ Und das Publikum wird pro Abend auch nur in eine Vorstellung gehen.
Genau. Ich bin eigentlich ziemlich breit aufgestellt, was meine künstlerischen Tätigkeiten angeht. Wenn mir heute der Arm abfallen würde, wäre ich trotzdem nicht aufs Puppenspiel angewiesen. Ich habe noch genug andere Eisen im Feuer. Wenn die Kultur aber komplett zusammenbricht, habe ich ein Problem.
■ Und momentan kann man durchaus von einem Komplettzusammenbruch der Kultur sprechen.
Absolut. Ich habe noch eine Auftragsarbeit: Ich schreibe für ein Theater in Pforzheim den Text. Und das war’s dann auch schon.
■ Was machen Sie dann den ganzen Tag? Die Fußballer jonglieren ja schon mit Klopapier. Wie hält sich ein Puppenspieler fit?
Das Gute ist, dass ich Frau und Kind habe. Um 9 Uhr machen wir alle drei Frühsport. Danach mache ich mit meiner Tochter eine halbe Stunde Vorschule. Danach wird der Haushalt gemacht, während meine Frau im Home Office arbeitet. Mittags schreibe ich am Theaterstück. Am 8. Oktober habe ich – so Gott will – Premiere mit meiner Sherlock-Holmes-Geschichte in Oberkirch. Die muss ich auch noch schreiben. Das ist der einzige Vorteil bei dieser lustigen Pandemie: Ich habe endlich Zeit, diese Stücke zu schreiben.
■ Was vermissen Sie in der momentanen Zwangspause am meisten?
Den Kontakt zum Publikum, auf der Bühne zu stehen und die Menschen zum Lachen zu bringen.
■ Wird sich der Kontakt zum Publikum wieder so herstellen lassen wie vor der Coronakrise oder werden auch im Theater die Abstandsregeln gelten? Das glaube ich nicht. Dann müsste jedes Theater seine Säle umbauen. Die Distanz Publikum/ Spieler ist eh kein Problem, weil da ohnehin ein paar Meter dazwischen liegen.
■ Zwischen den Zuschauern aber nicht.
Genau. Ich vermute, dass wir nach einer Lockerung der Verbote zunächst vor kleineren Gruppen spielen werden, dass zum Bespiel jeder zweite Platz freibleibt.
■ Ist das Internet für Sie eine Alternative zum Theater?
Es gibt Youtube-Channels, auf denen Künstler ihre Stücke oder eigens dafür improvisierte Szenen spielen. Theater im Fernsehen ist aber in der Regel nicht so schön, eher sogar langweilig. Beim Sprechtheater mag es gerade noch so gehen, beim Puppentheater ist es noch schwieriger. Aus diesem Grund hat Jim Henson damals die Muppets als Klappmaulpuppen entwickelt. Puppen mit einem statischen Gesicht das funktioniert auf dem Bildschirm maximal drei Minuten. Und wenn du zusätzlich keine Reaktionen aus dem Publikum hast, dann ist echt Essig.
■ Inwiefern können Sie auf Videoclips Werbung für sich machen?
Es gibt immer mehr Veranstalter, die aus Kostengründen nicht mehr alle Pf lichtveranstaltungen oder Festivals besuchen können und Werbefilme anfordern. Ich wehre mich dagegen mit Händen und Füßen, weil der Betrachter einfach keinen guten Eindruck kriegt. Wenn man nur frontal drauffilmt, ist das total langweilig.
Es sei denn, man dreht mit einem Fachmann einen Trailer mit Drehbuch und unterschiedlichen Einstellungen. Da bist Du 500 bis 800 Euro für einen Drei-Minuten-Film los und es kostet Dich einen Acht-Stunden- Drehtag.
■ Apropos Geld: Wessen Hilfe braucht die Kulturlandschaft momentan am ehesten: vom Publikum, von den Vermietern, von den Banken oder vom Staat? Definitiv vom Staat. Wir gehören zur systemirrelevanten Gruppe, wobei es sich noch zeigen wird, wie irrelevant Kultur tatsächlich ist. Keine Zivis mehr, Pflegekräfte werden schlecht bezahlt – das alles rächt sich jetzt, weil es ja nicht so wichtig war. Mit der Kultur ist es genauso. Kultur ist kein Luxusobjekt. Kultur ist als gesellschaftliche Triebkraft für alle Schichten und genauso wichtig wie andere Bereiche des Lebens. Aber eins muss man sagen: Wir erleben im Moment total viel Solidarität vom Publikum. Bereits gekaufte Karten werden nicht umgetauscht oder es wird ans Theater gespendet. Das ist wirklich toll und rührend. Dafür sind wir sehr dankbar. Und es gibt auch viele Veranstalter, die trotz ausgefallener Aufführung etwas zahlen. Das hilft wirklich sehr. Wir werden uns revanchieren. Das ist sicher.
■ Wie weit hilft denn der Zuschuss, den die Bundesregierung für Kleinunternehmer versprochen hat?
Wir müssen abwarten. Der erste Soforthilfeantrag kam vor ein paar Tagen raus. Und an dem hat man deutlich gesehen, dass die versprochene unbürokratische Lösung doch sehr bürokratisch und die allgemeine Unkenntnis über das Leben der freischaffenden Künstler in der Politik sehr groß war. Dadurch war der erste Soforthilfeantrag wirklich eine Farce und für jeden Künstler sehr niederschmetternd. Jetzt wurde, nach vielen Hilferufen, endlich nachjustiert und ein zweiter Antrag herausgebracht, der deutlich unaufwendiger und vor allem gerechter ist. Mein Antrag ist gestellt. Mal sehen, was dabei rauskommt. Aber die wirtschaftlichen Folgen dieser Geschichte werden uns noch viele Jahre beschäftigen.
■ Der eine oder andere fürchtet, dass es in der Kulturszene durch Corona einen ziemlichen Kahlschlag geben wird, weil viele Künstler aufgeben müssen. Teilen Sie diese Befürchtungen?
Ja, die teile ich auf jeden Fall auch. Einem Kollegen wurde jetzt schon eine Dezember- Veranstaltung abgesagt, weil der Veranstalter sagt: Im Dezember wird es uns wahrscheinlich nicht mehr geben. Da hängt ja so viel zusammen. Den Veranstaltern geht es ja genauso wie uns. Keine Künstler, keine Veranstalter. Und umgekehrt.
■ Viele Kleinkünstler haben schon in der Vergangenheit nicht so üppig verdient, dass sie Rücklagen bilden konnten.
Stimmt. Ich habe fast keine Rücklagen. Immer wenn man denkt, man macht jetzt mal eine Rücklage, kommt entweder das Finanzamt oder das Auto ist kaputt. Oder ich musste ein neues Stück vorfinanzieren. Selbst ein kleines Kinderstück kostet mittlerweile 10 000 bis 15 000 Euro. Bei Abendstücken ist es fast noch schlimmer, die kosten 20 bis 30 000 Euro. Das spielst Du fast nie ein, weil Du ein Abendstück nicht so oft aufführst wie ein Kinderstück. Allein im März und April verliere ich fast 20 000 Euro.
■ Gibt es einen Plan B?
Da müsste ich mich weiter in der Kulturlandschaft umgucken und die Fühler ausstrecken. Ich habe zum Beispiel schon viele Hörspiele gemacht. Und ich wollte schon immer ein Buch schreiben. Aber ich würde ansonsten jede andere Arbeit machen, die ich machen muss, wenn es keinen anderen Weg gibt. Ich muss schließlich meine Familie ernähren.
■ Die „Marotte“ ist der Verordnung zuvorgekommen und hat schon die Veranstaltungen vom 14./15. März abgesagt. Konsequent, oder?
Ja. Wir müssen jetzt alle vernünftig sein und das mal aushalten. Und jetzt sind inzwischen alle Kultureinrichtungen bis 19. April geschlossen. Und das wird nicht reichen. Da bin ich mir ziemlich sicher. Wie heißt es so schön im Internet: Unsere Großeltern sind in den Krieg gegangen. Wir können das alles von Zuhause aus machen. Die Version ist mir ehrlich gesagt lieber.
■ Wann werden Sie wieder Puppentheaterstücke aufführen dürfen? Vielleicht mit ein bisschen Glück im Juni.
■ Wie wird die Kulturlandschaft dann aussehen?
Die Kulturlandschaft wird sich auf jeden Fall ändern, es werden Künstler und Veranstalter wegbrechen. Allerdings kann ich mir gut vorstellen, dass die Kunst dann wieder eine Renaissance erleben wird, wie in den 20er Jahren des 20. Jahrhundert, und alle erst einmal feiern wollen – wenn sie denn das Geld dazu noch haben.
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